Die erste Ausstellung der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden unter der Leitung von Johan Holten mit dem Titel GESCHMACK – der gute, der schlechte und der wirklich teure setzt sich mit der Frage auseinander, ob gängige Kategorien von Geschmack heute noch brauchbar sind, und welche Bedeutung sie innerhalb der zeitgenössischen Kunst haben. Antworten formulieren Künstler wie John Bock, Josephine Meckseper, Katharina Grosse oder das Designerduo M/M (Paris). Ein Exkurs in die Zeit um 1800, als die ersten Bildergalerien in Deutschland eingerichtet wurden, bietet zudem die Chance, dem traditionellen Auftrag einer öffentlichen Institution wie der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden – der Geschmacksbildung – nachzuspüren und Entwicklungslinien zu erkennen.
Das Hauptaugenmerk der Ausstellung gilt zeitgenössischen Positionen wie sie John Bock zur Diskussion stellt. In seiner Modenschau mit 53 ausgefallenen bis absurd anmutenden Entwürfen, die nun erstmalig als Installation präsentiert werden, richtet der Künstler den Blick auf die Suche der Modeindustrie nach immer neuen und damit oft auch immer absurder wirkenden Formen. Die Wahl-New Yorkerin Josephine Meckseper scheint uns nahe zu legen, dass es weder um einen guten, noch um einen schlechten, sondern heute vor allem um den teuren Geschmack geht. Meckseper präsentiert drei Arbeiten, in denen unterschiedliche Gegenstände in der Art ihrer Präsentation so verändert werden, dass sie wie Luxus-Accessoires einer Schaufensterauslage anmuten. Sowohl billige Klobürsten, wie auch Hammer und Sichel überkreuz gelegt, scheinen sich dafür gleichermaßen zu eignen. Auch Martin Parr hat sein Kameraobjektiv auf die Auswirkungen der globalisierten Konsumgesellschaft gerichtet. Die Fotografien aus der Serie „Luxury“ entstanden am Rande von Poloturnieren in Dubai oder der Millionärsmesse in Moskau. Dabei geht es nicht zuletzt um die Dekonstruktion von Kategorien des Geschmacks.
Mit Leihgaben aus der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe verbildlicht die Ausstellung exemplarisch, dass Landschaftsmalerei um 1800 Genuss und Schönheit suggerieren sollte, und zugleich moralisches und geschmacksbildendes Lehrstück war. Weitere historische Exkurse verdeutlichen, wie der idealistische Glaube, die Gesellschaft mit schönen Formen positiv beeinflussen zu können, noch bis in die 1960er Jahren erhalten blieb. Malereien des dänischen Malers Poul Gernes, der Farbe als visuelle Medizin betrachtete und die utopischen Stadtentwürfe des Niederländers Constant zeigen, dass sich Schönheitsideale im Laufe der Zeit zwar radikal veränderten, die Kategorien des jeweils Guten und Schlechten aber dennoch aufrechterhalten wurden.
Seit dem Aufkommen von Pop-Art ist das nicht mehr der Fall. Heute kann Anselm Reyle Motiv-Vorlagen wie Pferdebilder aus einem Malen-nach-Zahlen Buch in aufwändig hergestellte Sammlerstücke verwandeln. Der 1966 in Schanghai geborene Zhou Tiehai kann 160 kleinformatige Ölgemälde mit einem Motivspektrum präsentieren, das von Süßspeisen bis zu entblößten Frauenhintern reicht. Indem er den Bilderkanon westlicher Kunstgeschichte als Material für scheinbar wahllose Zusammenstellungen nutzt, unterläuft er gängige und eingeübte Kategorien der westlichen Geschmacksbildung. Am Ende des Rundgangs mag daher durchaus das Gefühl entstehen, dass die Kategorisierung von Geschmack heute mehr denn je durch die kommerzielle Verwertbarkeit visueller Zeichen ersetzt worden ist.
Künstler der Ausstellung:
John Bock, Aristarkh Chernyshev und Alexei Shulgin, Constant, Poul Gernes, Katharina Grosse, Richard Hamilton, M/M (Paris), Josephine Meckseper, Martin Parr, Anselm Reyle, Daniela Rossell, Andy Warhol, Zhou Tiehai
Sowie historische Gemälde von:
Oswald Achenbach, Etienne Allegrain, Gaspard Dughet-Poussin, Anselm Feuerbach, Ferdinand Kobell, Carl Kuntz, Johann Christian Reinhart, Carl Rottmann, Maximilian Joseph Schinnagl, Johann Wilhelm Schirmer, Christian Georg Schütz
GESCHMACK – der gute, der schlechte und der wirklich teure wird vom 9. Juli bis 9. Oktober 2011 gezeigt. Der Katalog zur Ausstellung, hg. von Johan Holten, mit Texten von Johan Holten, Hendrik Bündge und Dirk Teuber erscheint im Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 152 Seiten, deutsch / englisch.
Abbildung: John Bock: Die abgeschmierte Knicklenkung im Gepäck verheddert sich im weissen Hemd, 2009
Modenschau, Haus der Kulturen der Welt, Berlin
Photography: Jan Windszus (the photographers name to be included!)
© 2009 John Bock. In co-operation with the House of Cultures, Berlin and the 
Julia Stoschek Foundation e.V. , Courtesy: Klosterfelde Berlin; Anton Kern, New York
Staatliche Kunsthalle Baden-Baden
Lichtentaler Allee 8a
76530 Baden-Baden
Tel.: 07221-30076-400
kunsthalle-baden-baden.de
Medienmitteilung
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