Gregor Schneider wurde 1969 in Rheydt geboren. Schon mit dreizehn Jahren malte er Bilder, die er heute noch in seine Ausstellungen und Publikationen aufnimmt. 1985 hatte er seine erste Einzelausstellung in der damaligen Galerie Kontrast in Mönchengladbach, und er begann im selben Jahr mit der Arbeit an seinem Haus an der Unterheydener Straße 12 in Rheydt, dem Haus u r. Im Jahr 2001 erhielt Schneider den Goldenen Löwen für den deutschen Beitrag zur Biennale Venedig. Aus der Logik seines Werkes heraus kam es zu verschiedenen Projekten, die als Provokationen missverstanden, heftig diskutiert und teilweise
mit Zensur belegt wurden. Die Verhinderung einer schwarzen kubischen Skulptur mit den Maßen der Kaaba in Mekka, die 2005 für den Markusplatz in Venedig geplant war, brachte ihn dazu, sich verstärkt mit der öffentlichen und politischen Dimension seines Werkes zu befassen.
In dreißig Jahren hat Gregor Schneider ein Werk aufgebaut, das an einige der empfindlichsten Schmerzpunkte der Gesellschaft rührt. Zu Beginn entwickelte er das Konzept einer künstlerischen Produktion, die ihre eigenen Resultate verschlingt, und stellte damit die Unterwerfung der Kunst unter den Zwang des Ökonomischen in Frage. Später hat er in dem geheimen, aseptischen Hochsicherheitsgefängnis von Guantánamo eine Übereinstimmung mit dem White Cube von Museen und Galerien gesehen. Schließlich veröffentlichte er 2008 seinen Sterberaum und den Wunsch, einen Sterbenden in einem Museum zu zeigen. Daraufhin erhielt er Morddrohungen. Sein persönlicher Sterberaum wird nun zum ersten Mal in Deutschland aufgebaut. Schneiders Überlegungen zum Sterben liegt die Frage zugrunde, ob der Tod ein absolutes Ende ist oder der
Übergang zu etwas, das für immer unbekannt bleiben wird. Er hat kulturelle Überkreuzungen in Szene gesetzt, versucht, ein islamisches mit einem katholischen Heiligtum in Verbindung zu bringen und die Rückkehr des Geistes der Nazizeit mit der Pulverisierung des Geburtshauses von Goebbels beantwortet. Das Medium seines künstlerischen Denkens ist der Einbau von Räumen in die gleichen, schon bestehenden Räume; die Verdopplung von Räumen, Personen und Objekten; die Rekonstruktion eines für ihn unerreichbaren Bauwerks. Seine bekannteste Arbeit ist der Einbau von 24 Räumen von Haus u r in den deutschen Pavillon der Biennale Venedig von 2001.
Der Ausstellungstitel Wand vor Wand bezieht sich auf Schneiders erste architektonische Intervention in Haus u r im Jahr 1985. Wand vor Wand ist das Element – ein Objekt, eine Praxis, ein Material, eine Methode –, auf welches das Werk sich zu- und von dem es sich wegbewegt hat.
Text: Ulrich Loock
„Gregor Schneider bringt den musealen Raum zum Verschwinden. Damit geht er das große Wagnis ein, die Grundbedingungen für das Präsentieren von Kunst komplett neu zu definieren. Eine neue und andere, eine gesteigerte und sehr konzentrierte Betrachtungsweise ist das Ergebnis. Provokant und präzise, kritisch und erschreckend“, so Rein Wolfs, Intendant der Bundeskunsthalle.
Die Ausstellung besteht aus einem weitgehend chronologisch angelegten Parcours durch die entscheidenden Stationen der Arbeit. Er führt durch etwa zwanzig einzelne Räume, von denen die meisten aus Haus u r ausgebaut oder von Schneider anlässlich verschiedener Ausstellungen konstruiert worden sind. Am Ende des Weges gelangt der Besucher in einen verrottenden, mit Schlamm gefüllten und der Witterung ausgesetzten Raum, Schneiders idealen Museumsraum – eigens für die Ausstellung in der Bundeskunsthalle konzipiert!
Weitere Höhepunkte sind die in Deutschland erstmalige Präsentation seines persönlichen Sterberaums, Rheydt 2005–2007, dem Nachbau eines Zimmers aus Mies van der Rohes Museum Haus Lange in Krefeld, sowie die Präsentation von Odenkirchner Straße 202, Rheydt 2014, einem Videofilm, mit unbewegter Kamera aufgenommen, der den Künstler am Küchentisch der Goebbels-Wohnung zeigt, wie er mit regelmäßigen, gemessenen Bewegungen, wie ferngesteuert, einen Teller Suppe löffelt – Essen; ein zweiter Film zeigt ihn unbeweglich, mit geschlossenen Augen im Bett des Geburtszimmers – Schlafen. Schon im Jahr 2000 erfuhr Schneider, dass das Geburtshaus von Joseph Goebbels, Hitlers Propagandaminister, nicht, wie bisher angenommen, bei der Bombardierung von Rheydt zerstört wurde, so konnte er es Jahre später kaufen und pulverisierte es
mit Ausnahme der Außenwände.
Auch die Arbeit, die den Besucher im Eingang empfängt, ist zum ersten Mal in Deutschland zu sehen: Kolkata Goddesses, Kolkata, die Schneider 2011 für das Durga-Purja-Festival in Kolkata, dem wichtigsten Fest des Jahres in Westbengalen, realisierte und einen Tempelbau samt Göttinnen, der Teil der festlichen Rituale wurde, schuf. Vorlage für das Gotteshaus war ein Straßenabschnitt und der Keller seines Haus u r in Mönchengladbach-Rheydt. Als Höhepunkt des Festivals wurden nach einem Umzug durch die Stadt die Göttinnen und Teile der Straße und des Kellers symbolisch in den Fluss verabschiedet. Schneider zog am nächsten Tag Materialien samt den Göttinnen wieder aus dem Wasser, um sie nach Rheydt zu transportieren. Von Rheydt nach Kolkata, von Kolkata nach Rheydt – von einer Fremde in die andere. Die Überkreuzung der Kulturen ist Inszenierung des Unbekannten.
Zitat von Gregor Schneider
„Was ich tue, ist das Denken, dreidimensional und konkret. Es denkt für sich, geht dann in der Sache weiter. Alles andere ist etwas ganz anderes. Ich glaube, dass das Denken in den Dingen steckt, dass diese wiederum sprechen und mein Gedächtnis sind. Deswegen lagere ich die Sachen und zeige sie jetzt zusammen. Die Dinge werden für sich sprechen, vielleicht wieder anders als vorher. Ich kämpfe nach wie vor gegen die Sprache und gegen Ausschnitte. Gewöhnlich bin ich mit der Macht des Wissens konfrontiert und werde in die Position des Unwissens gedrängt. Meine Erfahrungen vom Leben sind keine Bilder oder Texte.
Erfahrungen wenden sich an alle Sinne und beruhen auf einer unfassbaren Welt.“
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