In der Sommerausstellung der Sammlung Moderne Kunst auf Schloss Herrenchiemsee werden über 50 Arbeiten von internationalen Künstler:innen präsentiert, die in ihren Werken demokratische Grundwerte wie Freiheit, Gleichheit, Selbstentfaltung und die Würde des Menschen verhandeln. Meisterwerke der Pinakothek der Moderne von der Klassischen Moderne bis zur Gegenwart werden ergänzt um installative Arbeiten. In den unvollendeten Rohbauräumen im Nordflügel veranstalten die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen seit 2013 die Ausstellungsreihe Königsklasse. Der spannungsvolle Dialog von Kunstwerken und Architektur schafft einen einzigartigen Rahmen für das Ausstellungsthema.
„Könnt ihr noch?“
Der Titel der Ausstellung zitiert die Tech-Rap-Formation Deichkind. Ihr Song gleichen Titels beschreibt in Sprachbildern unsere beschleunigte Gesellschaft. Es ist ein gemeinschaftliches, verbindendes „ihr“, bei dem es um eine der drängendsten Fragen unserer Gesellschaft geht: unser Verhältnis zur Demokratie. Wie motiviert sind wir noch, sie weiter zu verteidigen? Wie erschöpft sind wir als demokratische Gesellschaft? Angesichts der permanenten Bedrohungen und Unterhöhlungen der Demokratien durch Populismus und Extremismus, durch Terror und Krieg besteht Einigkeit darin, dass wir für die Demokratie etwas tun müssen. Die einstmals hart erkämpften Werte, ein selbstbestimmtes, freies Leben in dieser Staatsform zu führen, sind oft vage und schwer zu fassen oder allzu selbstverständlich geworden.
Unter diesen Vorzeichen werden 50 Hauptwerke der Sammlung Moderne Kunst in zehn thematischen Sektionen präsentiert, ergänzt um einige Leihgaben, die eine Annäherung an die Werte der Demokratie ermöglichen. Die Ausstellung nimmt damit Bezug auf den Verfassungskonvent, der im August 1948 auf Herrenchiemsee stattfand und die Grundlage für die deutsche Verfassung schuf. Im Alten Schloss ist ihm dauerhaft die Ausstellung „Der Wille zu Freiheit und Demokratie“ gewidmet.
Der Rundgang beginnt und endet mit Joseph Beuys, einer der herausragendsten und schillerndsten Figuren der deutschen Nachkriegskunst. Seine „Rose für direkte Demokratie“ (1973) steht für eine unmittelbare Teilhabe aller an der Politik. Beuys Einfluss auf internationale Künstler wie Andy Warhol und John Baldessari sowie auf das Umfeld der Düsseldorfer Akademie, etwa Sigmar Polke oder Inge Mahn, wird ebenfalls in der Ausstellung thematisiert. Mahns „Balancierende Türme“ (1989), eine Neuerwerbung aus dem Jahr 2024, werden nur von einem Seil zusammengehalten – gerät das Gleichgewicht ins Schwanken, fallen beide. Sie stehen sinnbildlich für die letzte Sektion der Ausstellung „BALANCEAKT“:Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen eingeschränkt wird. Demokratie kann nur durch Teilhabe und Partizipation gelingen und muss als Prozess gelebt werden, Solidarität stützt sie.
Die Würde des Menschen, die im Artikel 1 des Grundgesetzes festgehalten ist, ist dabei von zentraler Bedeutung. Der Wert des Einzelnen geht einher mit den Grundrechten nach Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit oder Solidarität. Das Recht auf freie Selbstentfaltung wird im kreativen Prozess besonders deutlich, künstlerische Ausdrucksformen zeigen dies oft spielerisch und immer mit Überzeugung. Das Kinderforum van de Loo, eine 1970 vom Münchner Galeristen und Mäzen Otto van de Loo gegründete Initiative, lädt alle Besucher:innen in der Sektion „KREATIVITÄT UND SPIEL“ ein, sich selbst kreativ zu betätigen.
Die frühesten ausgestellten Werke aus der sogenannten Klassischen Moderne entstanden während der Weimarer Republik, einer Hochzeit des freien und diversen Kunstschaffens. Exemplarisch stehen hierfür die Werke des Expressionismus etwa von Karl Schmidt-Rottluff oder Ernst-Ludwig Kirchner. Das zwölf Jahre währende nationalsozialistische Regime markiert einen unermesslich großen Einschnitt. Sinnbilder, die auf diese Erschütterung reagieren, machen einen Großteil der Werke dieser Ausstellung aus und werden in der Sektion „SCHMERZ UND ERSCHÜTTERUNG“ gezeigt. Dass die Erfahrung der Unmenschlichkeit während der NS-Zeit nicht nur auf Deutschland bezogen ist, belegen Werke von Henry Moore, Francis Bacon oder Ida Applebroog eindringlich im Saal „WUNDEN UND BRÜCHE“. Die figurative Bildsprache von Anselm Kiefer, Jörg Immendorff oder Gerhard Richter, Protagonisten der deutschen Nachkriegskunst, deckt Verdrängtes in der Gesellschaft auf. Rosemarie Trockel, Inge Mahn oder Maria Lassnig setzen wichtige Akzente im Sinne feministischer Sichtweisen und der Erweiterung der Materialien. Die international renommierte Künstlerin Sheila Hicks, die innerhalb ihres 70-jährigens Schaffens auf allen Kontinenten gearbeitet hat, gestaltet einen eigenen Raum auf Schloss Herrenchiemsee, der das verbindende Potenzial ihrer Kunst für das Publikum erfahrbar macht. Thomas Schütte wird das historische Treppenhaus bespielen. Seine Arbeiten können als Reaktionen auf die aktuelle Gesellschaft verstanden werden, insbesondere auf Themen wie Machtstrukturen, Entfremdung und die Komplexität menschlicher Beziehungen.
Künstler:innen (Auswahl):
Francis Bacon, John Baldessari, Max Beckmann, Joseph Beuys, Lisa Brice, Deichkind, Günther Förg, Sheila Hicks, K. H. Hödicke, Jörg Immendorff, Asger Jorn, Anselm Kiefer, Ernst Ludwig Kirchner, Maria Lassnig, Henri Laurens, Inge Mahn, Henry Moore, A.R. Penck, Pablo Picasso, Judith Reigl, Gerhard Richter, Thomas Schütte, Rosemarie Trockel, Andy Warhol u.a.
Schloss- und Gartenverwaltung Herrenchiemsee
83209 Herrenchiemsee
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