Vergeben werden die Stipendien an: Ayọ̀ Akínwándé, Mohanakrishnan Haridasan (Mochu) und Clara Jo
Jury:
Natasha Ginwala, Kuratorin der Gwangju Biennale 2020, Colombo/Berlin
Robert Leckie, Direktor von Spike Island, Bristol
Edit Molnár, Leiterin des Edith-Russ-Hauses, Oldenburg
Marcel Schwierin, Leiter des Edith-Russ-Hauses, Oldenburg
Jurystatement
... Die Kunstschaffenden, die für das Stipendium 2020 ausgewählt wurden, erforschen furchtlos ebenso dringliche wie noch unerschlossene Aspekte der heutigen Lage der Menschheit und des Planeten. Ihre Arbeitsweisen beruhen auf Recherchen und legen Wert auf eine materiell stringente, gemeinschaftliche und sensible Ästhetik. Die drei erfolgreichen Einreichungen stützen sich auf verschiedenen Formen von Recherchen und auf Praktiken, die nicht nur theoretisch schlüssig, sondern auch in formaler Hinsicht überzeugend sind. Gegenstand der vorgeschlagenen Untersuchungen sind die Klangökologien von Protesten in Lagos und anderswo, die Vorgeschichten der Alt-Right-Bewegung in der hinduistischen Mythologie und die mögliche Rolle der virtuellen Realität bei der Bekämpfung psychischer Erkrankungen. Die Projekte greifen auf akustisches und körperliches Wissen zurück und lenken so den Blick auf die beunruhigenden virtuellen Tentakeln der globalen Politik, den veränderlichen Charakter von Massenwiderstand und die Virulenz, die gegenwärtig unter uns herrschen.
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Die Stipendienprojekte
Ayọ̀ Akínwándé: MUMU LP VOL. 4: ALL THE WORLD’S PROTESTS
Ayọ̀ Akínwándés Projekt wird der vierte Teil seiner fortlaufenden künstlerischen Befragung des politischen Engagements im öffentlichen Raum sein, das er anhand der Klangökologien von Protesten in Lagos und anderswo erforscht. Akínwándé begann 2016 sein langfristig angelegtes Rechercheprojekt Archiving the Future, weil ihn die möglichen Formen und Eigenschaften künftiger Archive nachhaltig faszinierten. Er baute ein Archiv aus Screenshots von politischen Gesprächen in den sozialen Medien auf, das er um Gesprächsmitschnitte erweiterte, die an Zeitungskiosken in Lagos aufgenommen wurden. Diese Sprachaufnahmen bildeten die Grundlage für seine Zusammenarbeit mit Musikerinnen und Musikern, die die Aufzeichnungen mithilfe von Jazzinstrumenten in Musik transformierten.
Die Jury war beeindruckt, wie es dem Künstler gelungen ist, lokale Gemeinschaften eng in den Aufbau dieser Klangarchitekturen einzubeziehen. Akínwándé hält nicht nur politische Äußerungen fest und beschäftigt sich mit der lokalen Musikszene, sondern nutzt den Jazz als Möglichkeit, um mit anderen zusammenzukommen und als Gruppe eine gemeinsame und zugleich disparate Wirklichkeit zu verkörpern. Um sein Projekt fortzusetzen, möchte Akínwándé den Kontext seiner Sammlung von Lagos auf einen weltweiten Maßstab erweitern, Proteste in aller Welt einfangen und Gemeinsamkeiten zwischen lokalen und globalen Kämpfen herausarbeiten.
Mohanakrishnan Haridasan (Mochu): BASILISK FILES
Mochus Arbeit beschäftigt sich mit den Geschichten der visuellen Kultur und insbesondere mit Techno-Fiction, Quasimythologien und Kunstgeschichte. Seine jüngsten Projekte betrachten beispielsweise die indischen Hippie-Subkulturen im Hinblick auf das Erbe der kybernetischen Theorie und der psychedelischen Kunst. Ausgehend von einer fiktiven Annahme wird Mochus vorgeschlagene Mehrkanal-Videoinstallation die historisch weit zurückreichenden Grundlagen der neoreaktionären Tendenzen in Indien und ihre Nähe zu techno-utopischen Idealen untersuchen. Das Projekt wird sich damit beschäftigen, wie die antiegalitären, futuristischen Ideen des amerikanischen Software-Entwicklers Curtis Yarvin und des britischen Philosophen Nick Land nachträglich in das mythologische Universum des hinduistischen Denkens integriert wurden. Es wird untersuchen, wie diese übereinstimmenden Ideologien zunehmend instrumentalisiert wurden, um über das Internet die Emotionen des Publikums zu manipulieren. Die Jury war begeistert von Mochus ambitioniertem Projektvorschlag, der „beabsichtigt, diese engen Verknüpfungen und verdeckten Kollaborationen zu kartieren und ihnen nachzugehen.“
Clara Jo: BETWEEN LIVED EXPERIENCE AND SIMULATED PRESENCE: EXPLORING MEMORY, EMPATHY, AND EMBODIMENT IN THE CLINICAL CONTEXT THROUGH VIRTUAL REALITY
Clara Jos interdisziplinäres, recherchebasiertes Projekt untersucht mithilfe von Virtueller Realität (VR) Erinnerung, Empathie und Verkörperung im klinischen Kontext. Ihre jüngsten Arbeiten beschäftigten sich mit den bildgebenden Technologien von Museen, digitaler Ethik und Orten, die in revisionistischen Geschichtsschreibungen eine Rolle spielen. Das von Jo vorgeschlagene Projekt wird in Zusammenarbeit mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Londoner King’s College aus den Bereichen Psychologie, Kunst, Wissenschaft und Lehre VR-Schnittstellen in immersiven filmischen Environments entwickeln. Diese sollen dazu dienen, die Sinnes- und Wahrnehmungsveränderungen von Menschen zu erforschen, die von Autismus, Essstörungen und insbesondere von Schizophrenie betroffen sind. Jo strebt an, die Erfahrungen der Virtuellen Realität zu erweitern, um Aufschlüsse über den allgemeinen psychosozialen Gesundheitszustand der globalen Community, die therapeutische Funktion der Kunst und die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Menschen, Tieren und extremen geografischen Orten zu erhalten. Der riskante spekulative Denkansatz und die experimentelle Stringenz des komplexen Projektvorschlags haben die Jury überzeugt. Jo wird mithilfe einer Verbindung aus Filmen, Feldforschung und virtueller Relationalität eine kritische Untersuchung zu Toxizität, mentaler Gesundheit, gemeinschaftlicher Fürsorge und Trauma durchführen und damit für die Zeit, die wir gerade durchleben, einen innovativen Ausblick bieten.
Edith-Russ-Haus für Medienkunst
Edith-Russ-Haus for Media Art
Katharinenstr. 23
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www.edith-russ-haus.de
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